Die Virtualisierung der Heimatsammlungen in Schleswig-Holstein
Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich die Vertriebenen aus dem Osten versucht ein kleines Stück Heimat zu erhalten und Sammlungs- und Versammlungsorte geschaffen, die bis heute Schätze aus den Vertreibungsgebieten beherbergen, von denen die Öffentlichkeit häufig nichts weiß.
In kaum einem zweiten Land ist die Museumslandschaft so differenziert und von so unterschiedlichen Akteuren getragen wie in der Bundesrepublik Deutschland. Von Häusern mit internationaler Strahlkraft und internationalem Sammlungsprofil, über die Landesmuseen mit regionaler Ausrichtung reicht dies bis hin zu den zahlreichen Spezialsammlungen, die oftmals regionale Geschichte und ein regionales kulturelles Erbe erhalten und vermitteln.
Eine besondere Funktion kommt in unserer Museumslandschaft jenen Heimatsammlungen bzw. Heimatstuben zu, die das kulturelle Erbe ehemals ostdeutscher Gebiete dokumentieren, die durch die Neuordnung Europas nach Ende des Zweiten Weltkriegs in andere Staaten integriert wurden. Sie erhalten und präsentieren ein einzigartiges kulturelles Erbe und tun dies in der Regel auf der Basis eines außerordentlichen bürgerschaftlichen Engagements und mit geringer finanzieller Ausstattung. Diese Sammlungen stellen bis heute Stätten der Erinnerung dar, mahnen aber auch für Frieden und Verständigung in Europa. Sie zu modernen und nachhaltigen außerschulischen Lernorten weiterzuentwickeln ist Verpflichtung nicht nur den Vertriebenen selbst, sondern auch künftigen Generationen gegenüber.
Die Heimatsammlungen bedürfen auch mehr als 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges der besonderen Aufmerksamkeit aller Interessierten und Verantwortlichen, denn die Sicherung und zukünftige Betreuung ist gefährdet. Deshalb initiierten das Ministerium für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein und der Schleswig-Holsteinische Heimatbund im Jahr 2020 ein Projekt mit dem Ziel, die Heimatsammlungen und Heimatstuben des Landes in den digitalen Raum zu überführen und zu bewahren. Im Jahr 2021 hat sich die Abteilung für Regionalgeschichte des Historischen Seminars der Universität Kiel unter Prof. Dr. Oliver Auge diesem Vorhaben angeschlossen.
Aus einer Vielzahl von 360° Fotografien wird ein 3D-Modell der Ausstellung erstellt, welches im Anschluss virtuell besichtigt werden kann. In der Nachbearbeitung wurden in den Modellen erklärende Texte, Bilder und Verknüpfungen eingefügt. Mit #RegionalDigital Schleswig-Holstein haben wir einen starken Partner aus der Region gefunden, der uns dabei unterstützt, diese Geschichten digital erlebbar zu machen. So können niedrigschwellig erste Eindrücke der Ausstellungen und Begegnungsstätten erlangt und verschiedene Informationen zu den dahinterstehenden Vereinen, ihren Ausstellungen und den Sammlungsgegenständen bereitgestellt werden. Das Projekt soll die öffentliche Präsentation der Heimatsammlungen und Heimatstuben erweitern und die Erinnerung und das Kulturgut der Geflüchteten aus den ehemaligen ostdeutschen Gebieten zugänglicher machen.
Schleswig-Holstein war eines der Hauptaufnahmeländer für Flüchtlinge und Vertriebene. Ihre Flucht- und Integrationsgeschichte(n) sind Teil der Landesgeschichte. Im Rahmen des Projektes wurden daher auch biografische Interviews mit Zeitzeugen geführt und in die virtuellen Räume integriert. Gemeinsam mit Torsten Pinne Videografie wurden Menschen zu ihren Erinnerungen an Flucht und eine neue Heimat befragt.
Ebenso wurden thematische Interviews mit den Betreibern der Heimatsammlungen und Heimatstuben geführt. Die Geschichte hinter ausgewählten Exponaten soll das Interesse an den Sammlungen wecken.
Das zusammengetragene Kulturgut zu bewahren ist nicht nur ein Anliegen der Betroffenen und deren Nachkommen, sondern als Aufgabe für die gesamte schleswig-holsteinische und bundesdeutsche Gesellschaft zu verstehen. Die Heimatsammlungen bewahren jedoch nicht nur ein materielles kulturelles Erbe, sondern sind ebenso ein Teil der Erinnerungskultur. Im Rahmen einer demokratischen und inklusiven Geschichtsschreibung gilt es daher, diese Sammlungen einem breiten Publikum zugänglich zu machen.
Es bleibt jedoch zu berücksichtigen, dass die Ausstellungen in den Heimatstuben perspektivgebunden sind. Sie vermitteln in erster Linie die Perspektive der Betroffenen. Da dies nicht einer multiperspektivischen und kritischen Geschichtsauseinandersetzung entspricht, wurde im Rahmen der Projektumsetzung ebenfalls versucht, eine kritische Reflexion zu leisten und problematische Narrative sichtbar zu machen.
Die Heimatstuben stellten über Jahrzehnte für Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten einen wertvollen Rückzugsort, einen Versammlungsraum und eine Begegnungsstätte dar, in denen sie ihren schmerzhaften Heimatverlust verarbeiten konnten. In dieser Zeit haben sie mit viel Engagement und Aufwand Zeugnisse aus ihrer ‚alten Heimat‘ zusammengetragen, bewahrt und präsentiert. Sechzehn dieser Sammlungen in Schleswig-Holstein können sie sich nun digital ansehen.